„Für Mittelständler ist Indien ideal“

Marcel Nebel über seine Erfahrungen als deutscher Software-Anbieter mit Niederlassung in Chennai

SHInsight: Herr Nebel, die Lösungen von OPTANIUM verbessern die CRM-Prozesse in Unternehmen jeder Größenordnung und reduzieren die IT-Kosten. Die Programme vertreiben Sie vor allem in den deutschsprachigen Ländern, die Software dagegen lassen ausschließlich in Indien produzieren. Warum dort?

Marcel Nebel: Für mittelständische Unternehmen, die bekanntlich – nicht nur in der IT-Branche – mit ihren Budgets haushalten müssen, ist Indien ideal. Die Löhne und Gehälter sind günstig, die Qualität der Arbeit ist sehr gut. Man hat praktisch einen unerschöpflichen Vorrat an qualifizierten Mitarbeitern, auch wenn es nicht immer einfach ist, diejenigen zu finden, die zu einem deutschen Unternehmen passen.

Trotz der vielen Vorteile Indiens sind deutsche Mittelständler mitunter sehr skeptisch. Können Sie das nachvollziehen?

Es herrschen nach wie vor viele Vorurteile, die – bei allen Unterschieden zwischen den Kulturen – genau das sind: Vorurteile. Daran ist die IT-Branche nicht ganz unschuldig. Viele „IT-Inder“ haben sehr gute Arbeit für und in Deutschland geleistet. Doch es gibt eben auch große kulturelle Unterschiede, die beide Seiten zu verdrängen versucht haben. Das hat in der Folge auf beiden Seiten zu Missverständnissen geführt, die zum Teil bis heute bestehen. Auch wenn es natürlich in erster Linie ums Geschäft geht, ist die Sensibilisierung für Unterschiede eine Frage des gegenseitigen Respekts und letztlich nicht wirklich aufwendig. Der Ertrag lohnt den Aufwand auf jeden Fall.

Wie gehen Sie damit in Ihrer indischen Niederlassung in Chennai um?

Zunächst einmal bin ich regelmäßig vor Ort. Diese Präsenz ist wichtig, auch wenn es natürlich einen örtlichen Geschäftsführer oder Büroleiter gibt. Dann sollte man einen lebendigen Kompromiss zwischen dem indischen und dem deutschen Büroalltag finden. Indien ist sehr hierarchisch strukturiert. Fragen zu stellen oder Änderungsvorschläge zu machen, wird oft als Kritik am Vorgesetzten empfunden und deswegen vermieden. Ich dagegen ermuntere meine Mitarbeiter, sich aktiv einzubringen und Standpunkte zu hinterfragen. Und ich zeige ihnen, dass ich jeden – unabhängig von seiner Aufgabe – gleich wertschätze.

Es heißt immer wieder, dass indische Mitarbeiter nicht selbstständig agieren und ständige Kontrolle benötigen.

Ich kenne diese Bedenken, kann sie aber nicht bestätigen. Auch hier gilt es, eigeninitiativ die Richtung zu bestimmen. Das indische Bildungssystem ist stärker angelegt auf das Reproduzieren statt auf den diskursiven Austausch. Indische Hochschulabsolventen kann man daher in der Tat nicht mit deutschen vergleichen. Doch im indischen Berufsleben muss man sich schnell beweisen. Wir stellen beispielsweise nur Mitarbeiter ein, die mindestens drei Jahre Berufserfahrung vorzuweisen haben und die bewiesen haben, dass sie eigenständige Entscheidungen treffen können. Das ist freilich die Herausforderung: diese Mitarbeiter zu finden. Da sollte man nicht viel experimentieren, sondern im Zweifelsfall auf die Erfahrungen von Indien-Kennern zurückgreifen.

Hat Ministerpräsident Narendra Modi das Land wirklich so zum Positiven verändert, wie er es bei seinem Amtsantritt versprochen hat?

Es war schon vor 2014 viel im Umbruch, aber Modi hat diese Entwicklung weiter vorangetrieben. Natürlich gibt es immer noch viel zu verbessern, beispielsweise was die Infrastruktur in manchen Gegenden angeht. Aber gerade für die Wirtschaft wurde doch zum Beispiel die Rechtssicherheit enorm verstärkt, nehmen Sie nur die Vereinheitlichung der Mehrwertsteuer GST, die Katasterordnung oder die allgemeine Einführung des elektronischen Personalausweises. Letzterer macht es beispielsweise Bewerbern viel schwerer, ihren Berufsweg „aufzuhübschen“.

Ihre Top-5-Ratschläge für europäische Unternehmer, die in Indien investieren wollen?

  • Unbedingt eine Vertrauensperson installieren.
  • Geduld aufbringen und einer echten Strategie folgen.
  • Qualifizierte Marktforschung betreiben.
  • Gutes Eigenmarketing betreiben, um gutes Personal an sich zu binden. Das Image des Arbeitgebers spielt für Inder eine große Rolle.
  • Aktiver Teil der örtlichen Business-Netzwerke sein.
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